Aufstehen, Krone richten und weitermachen
Ihre Gold-Medaille feiert sie mit Singen, die 20 Meter stößt sie im letzten Versuch nach einem Sturz im strömenden Regen. Yemisi Ogunleye von der MTG Mannheim kann sich zurecht über diesen Sieg freuen und dabei ist es nicht ihr alleiniger.
Das Interview führte Lisa Rosenberger.
Frau Ogunleye, die Olympischen Spiele fanden dieses Jahr im Nachbarland statt. Wie haben Sie dies bei den Wettkämpfen vor Ort empfunden?
Da die Spiele in Frankreich stattfanden, war mir bewusst, dass relativ viele deutsche Zuschauer vor Ort sein werden. Vor rund 80.000 Zuschauern im Stadion den Wettkampf zu bestreiten, das hätte durchaus enorm herausfordernd sein können, weil die Stimmung auch erdrückend hätte sein können. Ich habe die Stimmung aber weniger als erdrückend erlebt, als dass ich sie als Ermutigung angenommen habe. Die deutschen Zuschauer haben meinen Erfolg mitgefeiert und meine Mama, meine Tante, mein Onkel und einige weitere Familienmitglieder konnten dabei sein. Besonders dass meine Mama dabei war, war schön: Sie hat mich von klein auf zu allen Trainings gefahren und mich all die Jahre über begleitet. Dass sie nun diesen größten Erfolg meiner Karriere miterleben konnte, bedeutet mir viel.
Die meisten Zuschauer:innen haben die Wettkämpfe Schlag auf Schlag im Fernsehen verfolgt, ohne große Pausen. Sie selbst mussten sich zwischen den Wettkämpfen auch entspannen können. Wie haben Sie das gemacht?
Um mich während des Wettkampfes zu entspannen, singe und bete ich. Ich singe meist Lieder, die meine emotionale Lage beschreiben. Wenn ich Zweifel oder Angst habe, oder es auch einfach nicht so gut läuft, singe ich rhythmische Lieder, die mich aufbauen. Dabei achte ich auch sehr auf die Worte der Lieder, denn die Musik soll wiedergeben, was ich ausdrücken möchte. Ich bete auch zu Gott, dass ich von ihm die Unterstützung erhalte, meine Leistung abrufen zu können. Ansonsten arbeite ich viel mit Visualisierungen und stelle mir die Bewegungsabläufe des Kugelstoßens vor.
In den Wochen vor den olympischen Wettkämpfen haben Sie auch einige Interviewanfragen abgesagt, um sich besser vorbereiten zu können.
Ja, Interviews können sehr kräftezehrend sein. Vor so einem sportlichen Höhepunkt finde ich es wichtig, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Leistung zu erbringen. Die Interviews abzusagen, und somit keine Energie zu verlieren, war für mich die beste Entscheidung, um bei mir zu bleiben.
Wie haben Sie sich mental auf die Olympischen Spiele vorbereitet? Mentale Gesundheit steht bei diesem Sportereignis immer wieder im Fokus.
Das stimmt. Obwohl es meine ersten Olympischen Spiele waren, habe ich mir immer wieder im Austausch mit meiner Trainerin und auch mit anderen gesagt: „Es ist ein Wettkampf wie jeder andere. Ich gehe in diesen Wettkampf, wie in jeden anderen auch. Ich werde jetzt nicht irgendetwas anders machen, weil es unter dem Namen ‚Olympische Spiele‘ läuft.“ Ich habe versucht meine Rituale beizubehalten und diesen Wettkampf wie jeden anderen anzusehen. Das ist mir auch sehr gut gelungen. Zusätzlich habe ich auch Zeit mit meiner Familie und meinen engsten Freunden verbracht, das hat meiner mentalen Gesundheit geholfen. Auch die Zeit in meiner Kirchengemeinde Christ Gospel City in Karlsruhe, das Singen im Chor und die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen dort, ist ein Ausgleich zum Sport und trägt zu meinem seelischen Wohlbefinden bei.
Sie waren selbst schon häufiger in Paris, haben dort Freunde und kennen die Stadt. Dieses Mal haben Sie weniger von der Stadt mitbekommen, auch weil Sie erst gegen Ende der Spiele Ihre Wettkämpfe hatten. Von welchem Erlebnis werden Sie noch lange erzählen?
Für mich war das größte Ereignis im Wettkampf selbst mein erster Stoß im Finale, das mir am meisten hängen geblieben ist. Als ich im strömenden Regen hingefallen bin und diese Herausforderung hatte, aufzustehen und weiterzukämpfen. Im zweiten Versuch einen draufzusetzen und im letzten dann die Goldmedaille zu erringen. Ich glaube, das ist es, was ich meinen Kindern immer wieder erzählen werde mit einer ganz klaren Lektion daraus: Aufstehen, Krone richten und weitermachen. Und auch diesen mentalen Kampf zu gewinnen, indem man sich selbst immer wieder Mut zuspricht.
Ansonsten war der Wettkampf selbst mit den Zuschauern einzigartig: ich durfte 80.000 Zuschauer anklatschen und das hat mir im letzten Versuch nochmal einen richtigen Push gegeben. In jedem Fall werde ich auf diese Spiele positiv zurückschauen. Dieser Erfolg ist nicht nur mein Erfolg, sondern soll die nachfolgende Generation und die Menschen da draußen dazu ermutigen, dass Fleiß und harte Arbeit und mein christlicher Glaube Berge versetzen können.
Zum Abschluss noch die Frage: wie haben Sie mit Ihrem Team den Sieg und das Erlebnis der Olympischen Spiele 2024 gefeiert?
Ich nenne mein Team gerne die drei Muskeltiere. Iris Manke-Reimers ist seit inzwischen zehn Jahren meine Haupttrainerin und für die Koordination von Training und Wettkampf zuständig. Mit Arthur Hoppe habe ich einen Technikspezialisten für den Drehstoß an meiner Seite. Und mit Mareike Rittweg vom OSP Heidelberg habe ich über die vergangenen zwei Jahre meine Knieprobleme und -defizite aufgearbeitet, was mir nicht nur körperliche Höchstleistungen ermöglicht, sondern auch eine mentale Resilienz beigebracht hat. Gefeiert haben wir in ganz kleinem Rahmen mit unseren Liebsten, gutem Essen und guten Getränken. Wir haben einfach eine gute Zeit miteinander verbracht.